Haben wir es geschafft wieder einmal Europa- oder sogar Weltmeister zu sein. Ja! In Europa hat Deutschland mit nun 709 Parlamentariern das mit Abstand größte Parlament, wir sind also Europameister. In den Zeiten davor war es ein Kopf an Kopf Rennen mit Italien und Großbritannien. Und Weltmeister sind wir auch, nämlich bei der logischen Betrachtung der Abgeordnetenzahl über alle föderalen Ebenen hinweg, in Deutschland den Bundestag und die Landtage. Das ist gerechtfertigt, da die Landtage durch die im Grundgesetz fixierte Aufgabenteilung den Bund entsprechend entlasten. Mit 31,4 Abgeordneten pro 1 Million Einwohner hat Deutschland in dieser Analyse die höchste spezifische Abgeordnetenzahl der Welt. Bei gleicher Betrachtungsweise beträgt das Verhältnis der Abgeordnetenzahl pro eine Million Einwohner in GB 27,5, den USA 24,6 und Frankreich nur 13,9. Dies sind gewaltige Größenunterschiede.

Spätestens seit der Bundestagswahl fragen sich immer mehr Menschen, ob Deutschland, ob die parlamentarische Demokratie wirklich ein Parlament dieser Größenordnung braucht und warum die Große Koalition in der letzten Legislaturperiode durch eine entsprechende Wahlrechtsänderung hier nicht gegengesteuert hat? Der Bundestag ist im Vergleich zu anderen Parlamenten eindeutig zu groß. Hinzu kommt, dass Deutschland durch seine föderalistische Struktur neben dem Bundesparlament weitere 16 Landesparlamente mit 1821 Landtagsabgeordneten hat. Diese Parlamente entlasten bei bestimmten, im Grundgesetz festgelegten Aufgaben, den Bund. Eine weitere Entlastung erfährt der Bund durch eine zunehmende Aufgaben – und Kompetenzverlagerung auf die europäische Ebene. Ein Großteil der Gesetze stammt heute aus der Feder der Kommission, der Europäischen Union. Dieses sollte logischerweise in Summe zu einem kleineren und nicht größeren Bundestag führen. Aber Logik ist nicht das vorherrschende Prinzip im Politikbetrieb, sondern Macht und Machterhalt.

Die Politik beklagt immer wieder eine in der Bevölkerung zunehmende Politikverdrossenheit und fordert eine aktive Mitwirkung der Bürger am politischen Gestaltungsprozess ein. Ein XXL – Parlament trägt nun ganz sicher nicht zu einem Stimmungsumschwung in der Bevölkerung bei. Das Gegenteilige wird der Fall sein, weil ein solch großes Parlament als Selbstbedienungsladen und verschwenderischer Wasserkopf angesehen werden wird. Mehr Bescheidenheit und Realismus wäre angebracht.

Ferner ist zu befürchten, dass die parlamentarische Arbeit des Parlaments in einem so aufgeblähten Parlament leidet. Sie wird nicht effektiver sondern ineffizienter und bringt unserer Demokratie auch nicht mehr sondern weniger Nutzen. Nach der Konflikt – und Entscheidungstheorie besteht allgemeiner Konsens darüber, dass Entscheidungsgremien gewisse Größen nicht überschreiten dürfen um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten und konsensuale, effektive Ergebnisse zu erzielen. Soziales Faulenzen, Müßiggang, Trittbrettfahrertum, Motivationsverlust und Koordinationsverluste können in großen Gruppen zu einem Leistungsabfall führen. Dieser Eindruck drängt sich bereits heute beim Blick in den Bundestag und der Beobachtung von Plenarsitzungsabläufen mit leeren Stühlen, einschläfernden Vortragungen und diskussionslosen Debattenverläufen auf.

In seiner nach zwölfjähriger Amtszeit Anfang September gehaltenen Abschiedsrede hat der beste Insider, Bundestagspräsident Norbert Lammert, in seinen Ausführungen zur kritischen Würdigung des Parlaments diesen Aspekt aufgegriffen und dazu folgendes gesagt “Der Bundestag sei stärker und einflussreicher als jedes andere Parlament auf der Welt. Aber der Bundestag sei „nicht immer so gut wie er sein könnte oder auch sein sollte“. So sei der Eifer bei der Kontrolle der Regierung mitunter zu wenig ausgeprägt und bei der Diskussionskultur besteht Nachholbedarf: Es gebe „zweifellos immer wieder herausragende Debatten, aber bei selbstkritischer Betrachtung sollten wir einräumen, dass immer noch zu häufig geredet und zu wenig debattiert wird“. Wird sich diese Mentalität mit einem noch größeren Bundestag ändern? http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/norbert-lammert-bundestagspraesident-abschiedsrede

Regulär hat der Bundestag 598 Abgeordnete die in einer Direkt- und Verhältniswahl von den Bürgern in freier Wahl gewählt werden. Nach der Bundestagswahl im Herbst 2009 waren es durch Überhangmandate (sie entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr dort an Sitzen nach dem Zweitstimmenergebnis (Verhältniswahl) insgesamt zustehen) und Ausgleichsmandate (Wiederherstellung des Ergebnis der Verhältniswahl, wenn dies durch zu viele Überhangmandate verzerrt wurde) bereits 622 Sitze und im 18. Bundestag 2013 dann 630 Sitze. Im 19. Bundestag  werden es 709 Parlamentarier sein. https://www.bundestag.de/parlament/plenum/sitzverteilung_18wp

Neben dem oben erwähnten Effizienzverlust steigen mit der exponentiellen Zunahme der Abgeordnetenzahl selbstverständlich die Kosten für Parlamentarier und Infrastruktur stark an. Forderungen an den Bundestag diesen Wahnsinn durch Änderung des Wahlrechts zu korrigieren gab es seit vielen Jahren und konkrete Änderungsvorschläge auch, nur einigen konnte man sich nie. So hatte beispielhaft die SPD eine Änderung des Zuteilungsverfahrens der Sitze und Bundestagspräsident Norbert Lammert eine Deckelung der Mandate auf 630 Sitze vorgeschlagen. http://www.tagesspiegel.de/themen/agenda/mehr-abgeordnete-im-bundestag-2017-kann-es-eng-werden-im-parlament/13401088.html

http://www.sueddeutsche.de/politik/bundestag-arbeiten-am-ueberhang-1.3277419

Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat mehrfach auf die ausufernden Kosten des Bundestages hingewiesen und schließlich noch eine Petition mit 114 082 Unterstützer/innen im Dezember 2016 dem Bundestag übergeben und gehofft, damit die Abgeordneten zu einer Wahlrechtsänderung zu bewegen. Die parlamentarischen Ausgaben des Bundestages für die Vergütung der Abgeordneten und –Mitarbeiter, steuerfreie Kostenpauschale, opulente Pensionsansprüche, Fraktionszuschüsse, Entschädigungen etc. werden vom BdSt allein für 2018 mit 517 Mio. € angegeben. Ein Parlament mit der gesetzlichen Soll-Stärke von 598 Sitzen würde 75 Mio. €/Jahr weniger kosten, d. h. in einer Legislaturperiode ergäbe sich bereits eine Kostenersparnis von ca. 300 Mio. €. Weitere Millionen-Ausgaben werden zudem für neue Liegenschaften, Büros, und eine Aufstockung des Beamtenpersonals der Bundestagsverwaltung fällig. 2016 betrugen die mandatsbezogenen Kosten eines Abgeordneten rund 650.000 Euro im Jahr. https://www.steuerzahler.de/Die-Finanzierung-der-Bundestagsabgeordneten/8692c9972i1p525/ ; https://www.change.org/p/nein-zu-einem-xxl-bundestag

In der Petition des BdSt wird der Bundestag aufgefordert durch eine  Wahlgesetzänderung den Bundesstag sofort auf 630 Sitze zu deckeln und in der neuen Legislaturperiode durch einen Neuzuschnitt der Wahlkreise (299 auf 240) und Abschaffung der Ausgleichsmandate den Bundestag künftig auf maximal 500 Abgeordnete zu verkleinern. https://www.steuerzahler.de/500-Abgeordnete-sind-genug/87030c98921i1p1520/index.html

Wie haben die Abgeordneten, die Parteien und die Kanzlerin auf all diese Aktionen reagiert. Gar nicht, sie haben das Thema in gewohnter Weise ausgesessen und aus parteitaktischen Gründen lieber einen ausufernden Bundestag in Kauf genommen. Vorschläge von Abgeordneten, Volkspetitionen mit mehr als 100 000 Menschen die ihre Sorge zum Ausdruck bringen interessieren Politiker, Parteien und Fraktionen nicht, wenn damit eine machtpolitische Einschränkung verbunden ist und sei sie noch so klein. Mehr Macht und Einfluss, mehr Abgeordnete, mehr Posten, mehr Abhängige, mehr Steuergeld, das ist es was zählt und nicht was die Bevölkerung denkt, wünscht oder fordert. Und da passt auch gut das Motto von Angela Merkel ins Bild „ uns Deutschen geht es gut“ und in Ergänzung dazu, Steuern fließen ja im Überfluss. Der persönliche Machterhalt und der der Partei ist das Gebot der Stunde, wie man so schön auch anhand der Erklärung von Angela Merkel am Wahlabend in der Elefantenrunde sehen konnte. „ gegen uns ist keine Regierung möglich“ auch nicht mit dem schlechtesten Wahlergebnis der CDU seit 1949. Ein wahrhaft voller Erfolg.

Erschütternd ist, dass dieses Spiel leider von beiden großen demokratischen Parteien gespielt wurde und so auch die GroKo mit ihrer überwältigenden Mehrheit in der letzten Legislaturperiode das Bundeswahlgesetz nicht geändert hat. Selbstbeschränkung scheint bei allen Parteien ein unbekanntes Wort zu sein. Die ungesunde Entwicklung des Parlamentarismus war seit langem vorhersehbar und hätte bei gutem Willen der Parteien behoben werden können. Unsere Abgeordneten, die sich oft zu Recht und mit Stolz auf das Grundgesetz berufen, sollten, auch wenn es Verzicht bedeutet, den Willen der Gründungsväter bei der Festlegung der Abgeordnetenzahl ergründen und die Courage aufbringen das Bundeswahlgesetz erneut zu korrigieren. Ein angemessener, effizienter, kostenbewusster Bundestag ist das Gebot der Stunde. Dem bösen Klischee vom „Selbstbedienungsladen Bundestag“ würde damit Gegenteiliges entgegengesetzt werden.

Ein Blick über den Gartenzaun hilft häufig, den Wahnsinn des eigenen Handelns bewusst zu machen. Deshalb folgen ein paar Details zur exzessiven Entwicklung der Abgeordnetenzahl und Vergleiche mit anderen Parlamenten in Europa und der Welt.

1.Entwicklung der Mitgliederzahl des Bundestages:

Rund 40 Jahre lang bis 1987 pendelte die Abgeordnetenzahl im Bundestag zwischen 487 und 498 Abgeordnete. 30 Jahre lang betrug die Schwankungsbreite nur 2 Sitze. Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 traten 144 von der Volkskammer der DDR gewählte Abgeordnete in den Deutschen Bundestag ein. Die Sitzzahl schwankte in den folgenden Legislaturperioden zwischen 672 (1994) und 603 (2002). Aufgrund einer verkorksten Wahlrechtsänderung erfolgte in 2013 ein Sprung auf 631 und 2017 dann auf 709 Sitze. https://www.bundestag.de/parlament/fraktionen

2.Abgeordnetenzahl von Parlamenten und zugehörige Einwohnerzahl:

Deutschland 709, Großbritannien 650; Italien 630, Frankreich 577, Russland 450 , USA 435, Japan 717 und China 2987 Abgeordnete. Zugehörige Einwohnerzahl in Mio.: China 1380; USA 323, Russland  144, Japan 126, Deutschland 81, GB 65, Frankreich 65, Italien 61.

Im Ergebnis heißt dies: In Europa stellt Deutschland mit Abstand das größte Parlament. Bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen der Abgeordnetenzahl auf nationaler Ebene und der Bevölkerung liegen Deutschland, Frankreich und Großbritannien mit rund 115 000 Menschen pro Abgeordneten gleich auf.  In Europa ist dieses Verhältnis klein im Vergleich mit anderen Staaten wie Japan mit ca. 180 000 Menschen pro Abgeordneter, Russland mit ca.320 000, China mit  ca.460 000 und den USA mit ca. 745 000 Menschen/Abgeordneter. Die Zielgröße in den USA sind 770000 Menschen/Abgeordneter. Alle 10 Jahre wird die Abgeordnetenzahl anhand einer Volkszählung neu justiert .

3.Anzahl der Abgeordneten auf allen föderalen Ebenen pro Bevölkerungseinheit:

Bei der Analyse der Abgeordneten-Anzahl eines Landes ist neben der Größe des Landes die Staatsstruktur, zentral oder föderalistisch, von Bedeutung, da nachgeschaltete föderalistische Ebenen, wie in Deutschland die Länderparlamente  Staatsaufgaben übernehmen. Der BdSt hat eine Untersuchung zur Abgeordneten-Anzahl im internationalem Vergleich durchgeführt. https://de.wikipedia.org/wiki/Sitzverteilung_in_den_deutschen_Landesparlamenten ,  https://www.change.org/p/nein-zu-einem-xxl-bundestag/u/18783950 . Danach hat Deutschland mit 31,4 Abgeordneten (Bundestag und Landesparlamente) pro 1 Mio. Einwohner die meisten Parlamentarier weltweit.  In Italien sind es 30,7, in GB 27,5, den USA 24,6 und Frankreich nur 13,9 Parlamentarier pro 1 Mio. Einwohner.

Als Fazit bleibt festzustellen, dass aus parteitaktischen Überlegungen von CDU/CSU, SPD und Bundeskanzlerin Angela Merkel (trotz Richtlinienkompetenz) es unterlassen wurde, spätestens  in der Legislaturperiode der Großen Koalition das Wahlrecht mit Blick auf einen den deutschen Verhältnissen angemessenen Bundestag zu ändern. Sie tragen die Verantwortung für Steuerverschwendung, Ineffizienz und zunehmende Politikverdrossenheit in der Bevölkerung.

Der nächste Beitrag am kommenden Freitag widmet sich dem Thema „Leistung und Arbeit“ in der regenerativen Energieerzeugung. Dies scheint angebracht zu sein, weil in der medialen Berichterstattung diese Begrifflichkeiten oft haarsträubend verwendet werden.