Teil1 : Politik der Wertvernichtung

Das Essay zum Band 1 vom 18. Februar endet geschichtlich betrachtet in den 1980er Jahren. Es ist die Zeit in der die Kernenergie von zunehmenden Teilen der Politik erstmals in Frage gestellt wird. Sie wird primär als Risikotechnologie gebrandmarkt, hinter den Kulissen jedoch als Vehikel um Machterhalt und Wählerstimmen instrumentalisiert.

Im Band 2 wird deutlich, wie sich beim Kampf um den Brüter Kalkar, beim Ringen um die Endlagerung und im finalen Rennen rund um Fukushima zum Atomausstieg die Akzente immer weiter verschieben, weg von einer sachlichen Auseinandersetzung hin zur politischen Instrumentalisierung der Atomkraft. Es beginnt mit der Gründung der Grünen 1980 und beschleunigt sich mit dem Machtwechsel in Bonn von der SPD hin zur CDU mit dem Regierungsantritt von Helmut Kohl 1982. Nicht mehr die für Deutschland beste Energieversorgung mit einem optimalen Mix von verschiedenen Energieträgern steht im Vordergrund, sondern die Bekämpfung des politischen Gegners. Die SPD sucht nach Wegen, um einerseits den Abfluss von Wählerstimmen hin zu den Grünen zu stoppen und andererseits ein klar abgrenzbares Profil gegenüber der CDU aufzubauen.

Im Kapitel 1 von Band 2 wird gezeigt, wie mit dem Machtantritt von Johannes Rau 1985 und der zufällig gleichzeitigen Fertigstellung des Brüters Kalkar, der Brüter zum auserkorenen politischen Streitobjekt zwischen SPD und Union wird. Es ist eine Zäsur in der deutschen Industriepolitik, bei dem erstmalig ein ganzer Industriezweig mit Wiederaufarbeitung, Brennstoff-Rezyklierung und Brutreaktor politisch in Haftung genommen und schließlich ruiniert wird. Jahrelang von der Politik festgelegte Vorgaben und erfolgte politische Förderung und zwar maßgeblich durch die SPD, deren verehrter Vorsitzender Willy Brandt 1972 das Projekt  Kalkar aus der Taufe gehoben hat, welches von Helmut Schmidt in seinen Energieprogrammen für unverzichtbar  gehalten wurde und welches  von fünf Bundesforschungsminister der SPD, Klaus von Dohnanyi, Horst Ehmke, Hans Matthöfer, Volker Hauff und Andreas von Bülow mit Milliarden an Finanzmitteln gefördert wurde, werden achtlos beiseite gewischt und dem Kampf um politische Macht geopfert. Es wird dargelegt, mit welch raffinierter, zynischer und perfider Ausstiegstaktik und fadenscheinigen Argumenten es Regierungschef Johannes Rau und den zuständigen Ministern für Genehmigungsverfahren und Wirtschaft, Friedhelm Farthmann und Reimut Jochimsen schließlich gelingt, die Inbetriebnahme der betriebsbereiten Anlage zu verhindern und den Bund und die Industrie in die Knie zu zwingen. 17 Einzelgenehmigungen zur Errichtung des Brüters hat NRW erteilt, die letzte noch ausstehende zur Inbetriebnahme der Anlage verweigert sie mit fadenscheinigen Argumenten. Nach sechs Jahren und jährlichen zusätzlichen Kosten von 100 Mio. DM für den Betrieb der Anlage mit allen Systemen, aber ohne Brennelemente im Reaktorkern, streichen der Bund, Bundesminister für Forschung und Technologie Heinz Riesenhuber, die Industrie und die europäischen Partner die Segel und geben den Brüter mit seinen investierten 6 Milliarden DM der Verschrottung frei. Die Akteure der Obstruktionspolitik haben obsiegt. Es ist ein teuer erkaufter Pyrrhussieg, Johannes Rau verliert 1987 die Wahl gegen Helmut Kohl und die Industrie wird in ihrem Vertrauen in Zusagen der Politik, in Energieprogrammen des Staates und in die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen in den Grundfesten erschüttert.

Im nächsten Kapitel wird gezeigt, wie die Grünen, die Ende 1985 und Anfang 1991 unter rot-grünen Regierungen mit den Ministerpräsidenten Holger Börner und Hans Eichel in Hessen in Regierungsverantwortung kommen, am Industriestandort Hanau diese unrühmliche Politik fortgesetzten. Ziel ist es, die von Siemens am Industriestandort in Hanau in Errichtung befindliche Brennelementefabrik zu verhindern um dadurch den Einsatz von aus der Wiederaufarbeitung gewonnener Brennstoffe in normalen Leichtwasserreaktoren zu beenden. Atomgegner Joschka Fischer ist Umweltminister. Es wird gezeigt, dass es auch in diesem Kampf ganz wesentlich um Eigenprofilierung geht. Beschrieben wird wie Joschka Fischer den Schlagabtausch führt, mit dem Weltkonzern Siemens mit seinem Vorsitzenden Heinrich von Pierer, als Bauherrn und späterem Betreiber der Anlage und mit den Bundesumweltministern Walter Wallmann und Klaus Töpfer, die versuchen, mit Weisungen an Hessen das Genehmigungsverfahren in Gang zu halten. 1991 befinden sich die Grünen auf der Siegerstraße. Die Verhältnisse in Hanau sind ab diesem Jahr so wie zuvor beim Brüter. Die Anlage ist zu 95 % errichtet, eine Milliarde DM sind investiert, die abschießende Genehmigung zur Inbetriebnahme fehlt. Bei hohen laufenden Kosten für Siemens und die EVU versuchen Joschka Fischer und seine Mannen im Umweltministerium die Industrie durch Verweigerung der abschießenden Betriebsgenehmigung für die Anlage zum Aufgeben zu bringen. Der Kampf wird mit den Mitteln der „Kalkarisierung“ und den Waffen der Destruktions- und Nadelstichpolitik geführt. Nach vier Jahren ungleichen Spiels mit willkürlicher staatlicher Machtausübung kapituliert 1995 die Industrie. Siemens gibt den Industriekomplex Hanau komplett auf, rund 3500 hochqualifizierte Arbeitsplätze fallen einer nicht mehr berechenbaren und vertrauenden Politik zum Opfer. In späteren Wahlkampfreden vor grünem Publikum rühmt sich Fischer gerne mit den Worten „Ich habe Hanau dichtgemacht“. Die Gewinnung von Wählerstimmen scheinen gewichtiger zu sein als eine florierende Industrie, sichere Arbeitsplätze und Gesetzestreue im Atomgesetz.

Für die Grünen ist es ein Sieg, für den Industriestandort Deutschland ist es ein weiterer Tiefschlag und Verlust an internationaler Reputation. Große Teile der kerntechnischen Industrie wandern nach diesen Erfahrungen ins europäische Ausland nach Frankreich, Großbritannien und Belgien ab. Die in Deutschland verhinderten Anlagen werden dort errichtet und betrieben und von der deutschen Industrie finanziert.

Im Kapitel „Endlagerung, Versagen der Politik“ wird gezeigt, dass mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 und der Entscheidung der SPD 1986 aus der Atomenergie auszusteigen zunehmend die Endlagerung in den Fokus politischer Auseinandersetzung rückte. Sie wurde zum Spielball divergierender politischer Interessen im Kampf um Machterhalt und Machterweiterung. Nicht die Umsetzung der im Atomgesetz festgeschriebenen Aufgabe für den Staat, Endlager zu errichten und zu betreiben, stand von da an im Vordergrund, sondern Machterhalt und Eigenprofilierung. Kosten spielten keine Rolle.

Mit dem Narrativ „einer nicht lösbaren Endlagerung“ und dem Märchen eines über eine Million von Jahren andauernden Strahlen-Risikos nahmen SPD und Grüne die Endlagerung in Geiselhaft um Wählerstimmen. Dem politischen Gegner wurde unverantwortliches Handeln unterstellt. Es wird gezeigt, dass besonders vor Bundes- und Landtagswahlen die Intensität der Streitereien zwischen Politiker, Parteien und Regierungen Höchstwerte ansteuerten. Dem Gegner wurde häufig Unhaltbares unterstellt, nicht selten wurden Skandal entfacht. Pate hierfür stehen der 2008 inszenierte Asse-Skandal und der von Bundesumweltminister S. Gabriel (GroKo) wenige Tage vor der Wahl im September 2009 inszenierte Skandal um angeblich gefälschte Berichte und Einflussnahme von Helmut Kohl in 1983 zur Entscheidung den Salzstock Gorleben unterirdisch auf seine Eignung untersuchen zu lassen.

Es wird belegt, dass jahrzehntelang von SPD und Grünen und wenn es in die politische Agenda passte, auch von der CDU, Fortschritte bei der Endlagerung verhindert wurden, dass die Arbeitsintensität an den Endlagerstandorten je nach Koalition mal mehr oder weniger intensiv war und unter Rot-Grün, aber auch unter den letzten GroKo-Regierungen unter Angela Merkel praktisch stillstanden. Das Ergebnis ist ernüchternd, in den letzten 30 Jahren gab es keine Fortschritte bei der Erkundung von Gorleben und der Errichtung von Konrad, dafür aber enorme Kostenerhöhungen und eine zunehmend verunsicherte, ja verängstigte Bevölkerung rund um die Endlagerung.

Deutschland war, anders als es Grüne/SPD der Bevölkerung weißmachen wollen, bis Ende der 1970er Jahre bei der Endlagerung führend. Dies betraf sowohl die Schaffung der wissenschaftlichen Grundlagen für eine Endlagerung von Abfällen in tiefen geologischen Schichten, besonders im Steinsalz (Asse-Programm), die Ablehnung einer Entsorgung von Abfällen im Meer und die Festlegung nicht nur hochradioaktive Abfälle, sondern auch die Schwachradioaktiven in tiefen geologischen Schichten endzulagern. Ab den 80er Jahren ging es mit der Endlagerung in Deutschland bergab. Eine neue Politikergeneration priorisierte ideologische-, politische-, parteiliche- und persönliche Aspekte. Die Endlagerung geriet in den Reißwolf, Deutschland wurde nach unten durchgereicht, andere Länder stehen heute an der Spitze. In Finnland geht ein Endlager für hochradioaktive Abfälle nächstes Jahr in Betrieb (Kosten ca. 3 Mrd.€), dann folgen Schweden, die Schweiz und Frankreich.

Im Zerstörungsrausch von Fukushima wurde 2011 von Regierung und Parlament neben den Kernkraftwerken auch der besterforschte Salzstock der Welt zur Endlagerung von Abfällen, Gorleben, achtlos weggeworfen. Der den Wählern versprochene schnelle Neuanfang bei der Suche nach einem neuen Standort für ein Endlager kommt nicht voran. Der damals genannte Termin zur Standortbenennung ist in kürzester Zeit um Jahrzehnte auf 2068 verschoben worden. Die Politik nimmt es achselzuckend hin. Abreißen von Bewährtem und Probleme, die die herrschenden politischen Parteien geschaffen haben der Enkelgeneration auflasten, geht ihnen leichter von der Hand als etwas Kreatives aufzubauen.

Was wir heute bei der Endlagerung sehen ist genau genommen, das Eingeständnis eines jahrzehntelangen Versagens des Staates, seiner Politiker und des Parlaments bei ihrer gesetzlich verankerten Aufgabe, Endlager zu errichten und zu betreiben. Im goldenen Käfig üppiger Steuereinnahmen haben Regierungen und Parlament als zuständige für die Endlagerung alle von sachorientierten Politikern früherer Generationen vorangetriebenen Endlagerprojekt gegen die Wand gefahren und die Kosten exorbitant in die Höhe getrieben. Der nachfolgende kurze Abriss macht dies mehr als deutlich.

Versuchsendlager Asse

  • 2005 Stilllegungskonzept der staatlichen Gesellschaft für Strahlenforschung, GSF, mit Verbleib der Abfälle im Bergwerk. Kosten: ca. 100 Mio. €, Zeitbedarf: ca. 10 Jahre.
  • 2013: Gesetz der Bundesregierung zur Rückholung aller radioaktiven Abfälle, neuer Konditionierung und Endlagerung in einem anderen Endlager. Geschätzte Kosten: 4 bis 6 Mrd. €, Dauer 40 bis 50 Jahre, Aufblähung des Abfalls von 47 000 m³ auf 200 000 m³.
  • Stand heute: Vorbereitung der Rückholung bis 2033, Kosten dafür ca. 5 Mrd. €, Gesamtkosten und Zeitbedarf laut Politik nicht prognostizierbar!

Endlager für schwachradioaktive Abfälle im Eisenerzbergwerk Konrad

  • 1982: Einleitung Planfeststellungsverfahren. Inbetriebnahme Konrad Anfang der 1990er Jahre, Kosten ca. 900 Mio. €.
  • Ab 1990: Politisierung Konrad unter rot-grüner Regierung Niedersachsens, diverse Blockaden, 2002 Planfeststellungsbeschluss, 2007 Rechtssicherheit nach Abweisung von Klagen, Beginn der Herrichtung des Endlagers, weitere Blockade durch SPD/Grüne in Berlin und Niedersachsen. Ungelöste Endlagerung dient als Faustpfand für den Atomausstieg.
  • Stand Ende 2022: Fertigstellungstermin 2027. Bereits angefallene Kosten 2,8 Mrd. €, geschätzte Gesamtkosten 5,5 Mrd. €.

Erkundungsbergwerk Gorleben für hochradioaktive Abfälle

  • 1979 bis 1983: übertägige Erkundung des Salzstocks, 4 Salzspiegelbohrungen, 500 Aufschluss- und Pegelbohrungen, 2 Schachtvorbohrungen 1000 m tief, vier Bohrungen 2000 m tief.
  • 1983 bis 2000: untertägige Erkundung, Abteufen 2 Schächte, Auffahren 3 Sohlen, 7 km Strecken, 23 400 m³ Hohlraum, Durchführen von geologischen und geotechnischen Bohrungen mit ca.16 km Gesamtlänge. Feststellung der Eignungshöffigkeit des Salzstocks.
  • 1998 bis 2009 (rot-grüne Regierung): Erkundungs-Blockade des Endlagers.
  • 2010 (schwarz-gelbe-Regierung) neue Zielvorgabe: vorläufige Sicherheitsanalyse und internationales Peer-Review bis 2013, Weitererkundung mit endgültiger Sicherheitsanalyse, Eignungsaussage bis 2020, Errichtung des Endlagers und IBN bis 2035. Kosten: 1,5 Mrd.  investiert, ca. gleiche Betrag noch zu investieren.
  • 2011(schwarz-gelbe-Regierung): mit Fukushima Einstellung aller Arbeiten zur Erkundung Gorleben. 2013 neues Standortauswahlgesetz mit neuer Standortsuche bis 2031, Inbetriebnahme bis 2050.
  • Stand 2022: Festlegung auf neuen Standort im Zeitraum 2046 bis 2068, Endlager im Zeitraum 2070 bis 2090. Kosten unbekannt, keine Angaben seitens Politik!

Früher stritten Politiker über Millionen, im üppigen abgehobenen Berliner Politikbetrieb kennen sie heute nur noch Milliarden, bei steter Forderung nach einem noch größeren Bundeshaushalt oder neuen Schulden, wohlwissend, dass Deutschland bei Steuern und Abgaben bereits Weltspitze ist. Ist man sich des „kleinen“ Unterschiedes zwischen Millionen und Milliarden noch bewusst?  Eine Million in 100 € – Scheinen hat eine sehr überschaubare Stapelhöhe von 1 Meter, bei einer Milliarde ragt der Stapel 1 Kilometer hoch in den Himmel.

Teil 2 zum Band 2 behandelt die Kapitel Castortransporte, Medien, Fukushima mit Atomausstieg und Wertung.

 

ENDE