Seit wenigen Tagen ist Friedrich Merz Kanzler der Bundesrepublik. Wird es eine große Kanzlerschaft für Deutschland, bei der die seit Jahren bestehende Wirtschaftsmisere (drittes Rezessionsjahr) beendet, die Gesellschaft befriedet und dringend anstehende Reformen in Angriff genommen werden? Zweifel sind nach dem von Merz vollzogenen Schlingerkurs bei der AfD-Brandmauer, dem Salto bei der Schuldenbremse, dem mageren Wahlergebnis (28,6 Prozent) sowie des mit der SPD verhandelten Koalitionsvertrages (KOV) ohne wirkliche Reformen angebracht.
Im ersten Akt der Irrungen und Wirrungen kurz vor der Bundestagswahl erfolgte der missglückte Schulterschluss in der Asylpolitik mit der AfD in dessen aufgebrachten Diskurs Fraktionschef Rolf Mützenich vom geöffneten „Tor zur Hölle“ sprach.
Im zweiten Akt unmittelbar nach der Bundestagswahl folgte der abrupte Meinungswechsel zur Schuldenbremse und der Schuldenpolitik Deutschlands. Vehement hat Merz monatelang auf Kanzler Scholz und Vizekanzler Habeck wegen avisierter neuer Schulden verbal „eingeschlagen“ und mit markigen Worten Schulden ausgeschlossen: „Ich schließe eine Zustimmung meiner Fraktion zu einer Aufweichung der Schuldenbremse des Grundgesetzes heute von dieser Stelle erneut aus.“ Nach der Wahl revidiert Merz seine Meinung und unternimmt alles, um mit der abgewählten Regierung und dem abgewählten Parlament das größte Schuldenpaket in der Geschichte Deutschlands zu beschließen. 500 Milliarden Euro neuer Schulden für Infrastruktur und Klimaschutz sowie zusätzlich für Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben, also für die von Boris Pistorius geforderte „Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr“ eine unbegrenzte Schuldenaufnahme. Für das 500 Mrd.€ Paket und für alle künftigen Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, wird die im Grundgesetz fixierte Schuldenbremse ausgesetzt. Die bestehende Staatsverschuldung von 2,5 Billionen Euro (seit Bestehen der Bundesrepublik in 75 Jahren aufgelaufen) wird kräftig aufgeblasen. Das Risiko steigender Zinslast, eine verschlechterte Bonität und eine noch stärkere Belastung künftiger Generationen nimmt Merz in Kauf. Die Schulden werden am Bundeshaushalt vorbei als „Sondervermögen“ deklariert. All dies für ein leichtes unbeschwertes Regieren mit vollen Kassen, so wie zu Merkels Zeiten. Regieren unter Ausgabendisziplin, was Merz bis zu seiner Wahl von Scholz und Habeck vehement gefordert hat, wirft er über Bord. Im TV-Duell am 9. Februar sagte er noch: „Grundsätzlich sollten wir irgendwann mal mit dem Geld auskommen, das wir an Steuern in Deutschland einnehmen – und das sind mittlerweile fast 1.000 Milliarden Euro pro Jahr.“ Leichtfertig wird von ihm die von der Politik 2009 im Rahmen der weltweiten Finanzkrise bewusst eingeführte Schuldenbegrenzung ausgehebelt und die Büchse der Pandora wieder geöffnet. Viele in der Union kritisieren dies heftig.
Nach der Zustimmung zum KOV durch die Union und SPD scheint die Kanzlerwahl ein Selbstläufer zu sein. Doch weit gefehlt, es folgt der dritte Akt der schwierigen Kanzlerkür mit einer gewaltigen Demütigung für Merz. Im ersten Wahlgang lehnen 18 Parlamentarier aus dem eigenen Regierungslager Merz als Kanzler ab. Er verliert die Wahl. Es ist ein irritierendes, einmaliges historisches Ereignis. Im 2. Wahlgang dann die Erlösung. F. Merz wird zum 10. Bundeskanzler gewählt, bei weiterhin drei eigenen Gegenstimmen.
Falsche Wahlversprechen, das gewaltige Ausmaß neuer Schulden und das Drama bei der Kanzlerwahl haben F. Merz Autorität und Vertrauen untergraben. Nur mit einer ergebnisorientierten Politik, die schnell auf konkrete Verbesserungen verweisen kann, wird es ihm gelingen dieses Manko zu tilgen. Akzente sind dafür im 146-seitigen Koalitionsvertrag mit der Headline „Verantwortung für Deutschland“ gesetzt, dringend notwendige Reformen fehlen leider. Es ist immer wieder dasselbe Dilemma. Im Klein-Klein wird festgeschrieben wie die Regierungspolitik der nächsten vier Jahre gestaltet werden soll. Es ist eine vertane Arbeit, da sich die Dinge aufgrund rasanter nationaler und globaler Veränderungen anders entwickeln als vorhergedacht werden kann. Koalitionsverträge sollten sich daher auf die wirklich großen Ziele konzentrieren und diese auf wenigen Seiten festhalten. Alles andere sollte eine Koalition im Regierungsgeschäft einvernehmlich voranbringen können.
Mit Blick auf den seit Jahren stattfindenden Niedergang Deutschlands auf politischen, sozial- gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Feld gibt es für jedermann sichtbar acht Schwerpunktaufgaben für die neue Regierung die dringend angepackt werden müssen. Im Grunde sind es Korrekturen an den Entwicklungen die die Politik seit 2005 unter Angela Merkel und Olaf Scholz / Robert Habeck in den letzten 20 Jahren mit einer einseitig grün-sozialistischen Ausrichtung, mit Migration im großen Stil und Rettung der Welt vor dem Wärmetod unter den Mottos „Das ist alternativlos“, „Deutschland geht es gut“, „Immer weiter so“ und „Wenn nicht wir, wer sonst kann sich das leisten“ selbst aus dem Lot gebracht haben. Durch politische Vorgaben, Eingrenzungen und Reformunwille von im Wesentlichen Union, SPD und Grünen ist Deutschland in eine schwierige Lage geraten. 1999 war Deutschland schon einmal der „kranke Mann Europas“. Gerhard Schröder hat mit mutigen Reformen Deutschland da herausgeholt. Angela Merkel hat 10 Jahre davon profitiert und zusammen mit der SPD und den Grünen Deutschland durch Nichtstun bzw. durch Fehlentscheidungen zum zweiten Mal zum „kranken Mann Europas“ gemacht. Die neue Koalition hat nun die Chance die Fehler wieder wettzumachen. Dabei muss sie weit über das was im KOV steht hinausgehen.
- Verschlankung des Staatsapparates (nicht im KOV enthalten)
Machtausdehnung, Selbstüberschätzung und die Anmaßung der Politik Gesellschaft und Wirtschaft immer kleinkarierter zu führen haben zu einem völlig überdehnten teuren Staat geführt. Rückbesinnung auf die wichtigsten Staatsaufgaben ist angesagt, mit einem schlanken, effektiven Staat bei dem Klasse statt Masse im Vordergrund steht. Verkleinerung des Parlaments durch Wahlreform, Reduzierung der Beamten- und Angestelltenzahl, Abschaffung aller 66 Sonderbeauftragten und Rückverlagerung der Arbeit in die zuständigen Ministerien, Streichung der finanziellen Unterstützung der ausufernden NGO usw.
- Verbesserte Ausgabendisziplin; Beendigung des Verprassens von Steuergeldern (nicht im KOV enthalten)
Eine Verschlankung des Staatsapparats verbunden mit einer verbesserten Ausgabendisziplin von Regierung und Ministerien bei der nicht mehr nach ideologischen und/oder parteipolitischen Kriterien investiert wird, sondern nach klaren Wirtschaftskriterien würde zu einer Gesundung der Staatsfinanzen führen. Steuereinnahmen und Haushaltsausgaben kämen ins Gleichgewicht, der Ruf nach weiteren Steuererhöhungen wäre hinfällig, ja selbst Steuerentlastungen wären möglich. Deutschland ist Höchststeuerland, die Staatsquote liegt bei 50%, die Bürger ächzen unter der Steuer- und Abgabenlast. Betrug der Bundeshaushalt 2005 noch 260 Mrd.€, so sind es heute gewaltige 500 Mrd.€. Obendrauf kommen noch hohe Milliardenbeträge an „Sondervermögen“ (Schulden) am Haushalt vorbei. Genug ist genug! Ziel muss eine generelle Steuer- und Abgabensenkung sein.
- Radikaler Bürokratieabbau (in Ansätzen im KOV enthalten)
Die Anmaßung der Politik, der Bevölkerung und der Wirtschaft immer detaillierter vorzuschreiben wie sie zu leben und zu wirtschaften haben, hat zu einem Bürokratismus geführt der das gesamte Land lähmt und freie Ideen sowie Innovation verhindert. Alle Gesetze, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen gehören auf den Prüfstand um Notwendigkeit sowie Zweckmäßigkeit festzustellen. Schätzungsweise kann auf ein Viertel aller Vorschriften verzichtet werden. Die Festlegungen im Koalitionsvertrag sind ein Anfang.
- Rentenreform und Reform der Beamtenbesoldung (nicht im KOV enthalten)
Das Rentensystem auf Basis des Generationenvertrages sichert seit vielen Jahren nicht mehr die Rentenansprüche, das System ist kaputt. Nur durch einen immer höheren Anteil an Steuergeldern können die Renten bezahlt werden (rund 100 Mrd.€ pro Jahr) und dennoch bewegt sich die Politik nicht. Mit einem „immer weiter so“ geht es, bis auf zaghafte Reformansätze, auch im neuen Koalitionsvertrag weiter. Bis 2031 soll das Rentenniveau bei mageren 48 % des Bruttogehaltes stabil gehalten werden, die Probleme und die Unsicherheit werden sich vergrößern. Echte Reformen sind nicht in Sicht. Gegen ein kapitalbasiertes System wehren sich Sozialdemokraten und Linke im Bundestag (Kapital ist Teufelszeug), obwohl das System in Schweden, Norwegen, der Schweiz etc. zu sehr guten Ergebnissen geführt hat mit weitaus höheren Renten ihrer Bürger als in Deutschland. Mit sozialistischer Einstellung geht Verarmung einher.
Einen bitteren Beigeschmack bekommt die Haltung der Politik, wenn im Vergleich zum Rentensystem die Beamtenbezüge betrachtet werden. Eile ist geboten, da die Schere zwischen diesen Systemen immer weiter auseinandergeht, mit stetig steigenden Beamtenbezügen und sinkenden Rentenansprüchen. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit hat sich etabliert. Die Politik in ihrem Elfenbeinturm unternimmt seit Jahren nichts. Sie ist einer der Profiteure des Systems. 2023 betrug die durchschnittliche Pension für ehemalige Beamte in Deutschland rund 3.240 Euro brutto im Monat, die durchschnittliche Rentenhöhe bei Männern betrug dagegen 1348 Euro und bei Frauen 908 Euro im Monat.
Ob Bundesbeamter oder Landesdiener der maximale Ruhegehaltssatz beträgt 71,5 % der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge. Er gilt nach 40 Dienstjahren. Bei Arbeitnehmern sind es 45 Arbeitsjahre und die oben genannten 48 %. Nur eine geringe Zahl der Arbeitnehmer erreicht die notwendigen Arbeitsjahre, die meisten Beamten ihre 40 Jahre schon. 2023 galten die Regeln für rund 1,4 Millionen Pensionäre und 21,2 Millionen Rentenempfänger, es zeigt den eklatanten Klassenunterschied. Um den sozialen Frieden zu erhalten besteht dringender Handlungsbedarf.
- Bildungsreform (wenig Konkretes im KOV)
Hierzu ist bis auf das Bekenntnis zum Bildungsföderalismus und die Einsetzung einer Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Entbürokratisierung wenig Konkretes im KOV enthalten. Der Ruf nach einer Kommission ist immer der Ausweg, wenn man nicht weiterweiß. So vergeht die Legislaturperiode und alles bleibt beim alten Zustand, mit ineffektivem Bildungssystem und immer schlechteren Bildungs-Ergebnissen im internationalen Vergleich. Deutschlands Schüler befinden sich im unteren Drittel und das Analphabetentum nimmt zu.
- Neue Energiewende (nicht im KOV enthalten)
Seit 25 Jahren betreibt die Politik eine einseitig grün ausgerichtete, extrem teure ineffiziente Energiepolitik. Weltweit gibt es nichts Vergleichbares. Rund 500 Milliarden unproduktiv investierten Geldes (i. W. von den Bürgern über das EEG-Gesetz mit der Stromrechnung bezahlt) haben nicht zum Erfolg geführt. Deutschland hat den teuersten und nach Polen (nur noch bis zur Inbetriebnahme seiner KKW) den schmutzigsten Strom Europas. Der Ansatz im Koalitionsvertrag, die Stromkosten durch Entlastungen (Netzentgelt, Stromsteuerentlastung, Industriestrompreis) zu senken ist Augenwischerei. Der Strompreis für Verbraucher sinkt zwar dadurch, die Differenz bezahlt der Steuerzahler indem der Staat sich den Differenzbetrag über Steuern und Abgaben über andere Wege beschafft. Es ist somit ein rechte-linke Taschen Trick. Nur mit einer echten Reform der Energiepolitik lässt sich dieser Mangel beheben, eine Reform die Technologieoffen ist und das Ergebnis am Erfolg ausrichtet. Das teure ineffiziente EEG-Gesetz gehört damit in die Mülltonne. Erfolg bedeutet, niedriger Strompreis, niedrige Emissionsbelastung und Netzstabilität.
- Struktur – und Digitalisierungsreform (gute Ansätze im KOV)
Zur Erneuerung der maroden Infrastruktur Deutschlands wie Straßen, Brücken, Bahnanlagen, öffentliche Gebäude etc. gibt es im KOV gute Ansätze. Es gilt sie zügig umzusetzen. Mit den „Sonderschulden“ steht genügend Kapital zur Verfügung. Der Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Den Zielsetzungen zur Digitalisierung Deutschlands im Koalitionsvertrag ist nichts hinzuzufügen. Sie sind richtig gesetzt und anspruchsvoll. Deutschland soll auf die digitale Überholspur gebracht werden, die Verwaltung vorausschauend vernetzt, leistungsfähig und nutzerzentriert werden, der Glasfaserausbau flächendeckend ausgebaut werden, der Rechenzentrumsstandort Deutschlands Leuchtturm in Europa werden und mindestens eine europäische „AI-Gigafactories“ soll nach Deutschland geholt werden. Hoffen wir, dass es gelingt und nicht wie im letzten KOV von Scholz/ Habeck alles nur gedrucktes Papier bleibt.
- Bundeswehr / Wehrpflicht (gute Ansätze im KOV)
Der KOV zeichnet ein klares Bekenntnis zur zügigen Modernisierung der Bundeswehr. Ferner soll ein „auf Freiwilligkeit basierendes Wehrdienstmodell“ entwickelt werden. Geld ist nach den Schuldenbeschlüssen genügend vorhanden. Zu hoffen ist, dass die Finanzmittel effektiv eingesetzt werden und nicht große Anteile im Bürokratieaufwand verschwinden. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre die bessere Alternative um die Personalprobleme zu lösen.
- Migration (gute Vorsätze im KOV, praktische Umsetzung unklar)
Nach dem KOV soll die Einwanderungszahl durch Abweisung an der Grenze und Abschiebung reduziert werden. Die Anreize in die Sozialsysteme einzuwandern sollen deutlich reduziert werden, die Migration besser geordnet und gesteuert werden und die irreguläre Migration wirksam zurückgedrängt werden. Alles richtige Ansätze, ob es erfolgreich ist, wird die praktische Umsetzung zeigen. Es gibt keine Angabe über die maximale Zuwanderungs- Migrantenzahl pro Jahr und damit kein klares Ziel.
ENDE